Der Anlass: https://frankfurt.de/aktuelle-meldung/sondermeldungen/gabenzaeune
Angesichts der Corona-Krise haben wir als Centro-Kollektiv – so wie viele andere Initiativen in Frankfurt – vor Wochen mit Hilfe einer Hotline angefangen, nachbarschaftliche Unterstützung zu koordinieren. Menschen, die sich vorher nicht kannten, erledigen nun ohne Gegenleistung z.B. Einkäufe füreinander oder gehen mit dem Hund Gassi. Es ist schön zu sehen, wie groß die Bereitschaft zu helfen ist und uns erreicht viel positives Feedback. Durch die Anrufe und Gespräche mit Nachbar*innen bekommen wir auch einen Einblick in die vielfältigen Problemlagen, die Menschen im Stadtteil gerade beschäftigen.
Deutlich wird: Armut, die auch vor Corona schon bestand und in Rödelheim sichtbar ist, verschärft sich aktuell durch den Wegfall von Einnahmequellen und Hilfsangeboten auf der einen und steigenden Lebenshaltungskosten auf der anderen Seite. Vor mehr als drei Wochen haben wir uns deshalb gemeinsam mit Nachbar*innen daran gemacht, einen Gabenzaun aufzubauen und auch die durchaus nachvollziehbare Kritik wie Hygieneaspekte und die Platzierung des Gabenzaunes diskutiert. Festhalten können wir nun, dass das Angebot sehr stark genutzt wird – viele Menschen aus dem Stadtteil bringen den ganzen Tag Lebensmittel und Hygieneartikel vorbei und andere nehmen sich was sie brauchen. Der Bedarf scheint wesentlich größer zu sein, als wir selber geglaubt hätten.
Anfang des Monats hat die Stadt Frankfurt ein Statement veröffentlicht, in dem allen Bürgerinnen davon abgeraten wird, Gabenzäune einzurichten bzw. Spenden zu diesen zu bringen. Argumentiert wird damit, dass „unter hygienischen Aspekten Gabenzäune nicht unproblematisch sind“ und „unter ethischen Gesichtspunkten unvertretbar“ seien. Das erste dieser Argumente ist schlicht falsch, denn ein hygienisches Problem gibt es nicht – davon kann sich jeder überzeugen, die einmal den Zaun besucht hat. Unsere Nachbar*innen sind verantwortungsvoll genug, keine verderblichen Lebensmittel zu bringen, die Spenden sind regengeschützt in Kisten gelagert, werden innerhalb weniger Stunden abgeholt und regelmäßig kontrollieren wir, ob alles in Ordnung ist.
Das zweite Argument ist nicht nur falsch, sondern macht uns richtig wütend. Wie viele andere wissen wir mit welcher Angst der Gang zum Jobcenter verbunden ist. Mit welchem Aufwand dort erst die „Hilfsbedürftigkeit“ geprüft wird und dann die eh schon viel zu geringe „Grundsicherung“ unter der ständigen Drohung der Sanktionierung steht. In einer Stadt, in der hunderte Menschen kein Dach über dem Kopf haben, wird uns mitgeteilt, dass ein Gabenzaun eine „nicht hinzunehmende Bloßstellung notleidender Menschen“ darstelle? Von einer Stadtpolitik, die es nicht annähernd fertig bringt ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Einer Politik, die versucht die Veröffentlichung einer kritischen Studie zu Obdachlosigkeit in Frankfurt zu verhindern und sich damit rühmt, dass Menschen im Winter in der B-Ebene der Hauptwache übernachten dürfen? (Fußnote) In einer Stadt also in der erst aus all dem die Notwendigkeit für Tafeln oder Gabenzäune entsteht, wird uns jetzt erklärt, welcher Umgang mit Armut „würdevoll“ ist und welcher nicht? Das ist für uns unter ethischen Gesichtspunkten unvertretbar.
Die Armut in dieser, wie in jeder anderen Stadt auch, hat Gründe. Sie ist nicht das Ergebnis individueller Fehler oder ein unglücklicher Schicksalsschlag, sondern eine Folge unserer Art zu wirtschaften. In einer Krise wie dieser wird für viele Menschen sehr konkret, was oft abstrakt klingt wenn z.B. von einem „großen Wohlstandsgefälle“ die Rede ist. Wer keinen Laptop oder Drucker hat, kann seine Kinder nicht zu Hause unterrichten. Wer kein geräumiges Haus mit Garten hat, dem fällt viel schneller die Decke auf den Kopf. Wer vorher schon jeden Cent umdrehen musste, hat jetzt am Monatsende nichts mehr zu essen. Diese scheinbar so reiche Stadt scheint nicht in der Lage zu sein, sich um alle seine Bewohner*innen zu kümmern. Das ist ein wirkliches Problem, nur soll es möglichst nicht sichtbar werden.
Für die Menschen, die sich Lebensmittel und Hygieneprodukte aus dem Gabenzaun nehmen, ist erstmal unwesentlich, ob sie unsere Analysen teilen oder nicht. Nicht unwesentlich jedoch ist, dass sowohl durch die Einkaufhilfen als auch durch den Gabenzaun neue soziale Begegnungen entstehen. Wir sind kein karitativer Wohlfahrtsverband, der Hilfsgüter an Bedürftige verschenkt und wir wollen das auch gar nicht. Wir wollen, dass sich Leute kennenlernen, Vertrauen ineinander entwickeln, sich zusammentun und gemeinsam kämpfen um etwas zu verändern. Diese solidarischen Beziehungen, die hier entstehen, sind das, was diese Arbeit für uns so wertvoll macht. Dazu brauchen wir weder die Stadtverwaltung noch ihre Ratschläge.